Glühwunsch

Jedes Jahr findet in Quellstein am 24. Tag des 12. Monats das Friedensfest statt, mit dem heißgeliebten Getränk Glühwunsch. Ob es auch für den Dämonenjäger Sorin und den Halbdämon Luke ein Fest des Friedens ist?

 

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Eine Zigarette in der einen Hand, einen Becher Wein in der anderen, nickte Sorin den Besuchern des Festes freundlich zu, obgleich ihre Neugier ihn belästigte. Mit dem Wein ließ es sich gut aushalten, doch als er zur Neige ging, war Sorin gezwungen, seinen Platz auf der Bank abseits von dem Trubel zu verlassen, um sich unter die Menschen zu mischen.

 

Kaum war er auf den Weg getappt, der zwischen den vielen beleuchteten Verkaufsständen führte, machte er ein bekanntes Gesicht mit kirschroten Lippen aus. Einen Fluch unterdrückend wandte er sich ab, doch zu spät. Längst hatte die Frau ihn erblickt und kam mit einem Lächeln auf ihn zu. Dabei wippten ihre mintgrünen Locken im Takt mit den wallenden Bewegungen ihres geschnürten Kleides, das sie unter dem offenen Mantel trug. „Sorin!“ Sie winkte ihm aufgeregt zu. „Was für ein seltener Anblick. Du auf einem Fest?“, sagte sie, bei ihm angelangt. „Was führt dich hierher?“

 

„Scutum zum Gruße, Shaely.“ Sorin zwang sich, ihr penetrantes Kirschparfum wegzulächeln. Immer, wenn sie rechnete, ihm zu begegnen, trug sie besonders viel davon auf, war ihm aufgefallen. „Das könnte ich dich auch fragen. Es kommt selten vor, dass du deine Praxis verlässt.“ Er durchschaute ihre aufgesetzte Überraschung, ging aber auf ihr Spiel ein. Um sie möglichst schnell wieder loszuwerden, musste er charmant bleiben.

„Der Glühwunsch natürlich“, antwortete Shaely. Er gefiel ihr in seinem maßgeschneiderten zweireihigen Mantel. Sie klimperte mit den Wimpern mehr als sonst, wenn sie mit ihm sprach. „Und du? Ah, nein, lass mich raten.“ Sie legte ihren schwarz lackierten Finger an das Kinn und tat so, als würde sie nachdenken. „Dein Geburtstag, oder?“

 

Innerlich stöhnte Sorin. Sie vergaß aber auch gar nichts über ihn. „Damit liegst du richtig“, lächelte er.

„Alles Gute, Sorin.“ Sie schloss ihn in eine kurze Umarmung, die er der Höflichkeit halber über sich ergehen ließ.

 

„Ich wollte mir zur Feier des Tages selbst einen Erdbeerwein spendieren.“

 

„Wunderbar“, strahlte Shaely. „Lass uns zusammen feiern. Ich lade dich ein.“

 

„Das ist nett von dir, aber du musst nicht.“

 

„Ich bestehe darauf.“

 

„Nein, wirklich. Ich hatte eben einen und der genügt.“ Zum Beweis hob Sorin den leeren Becher. Er hätte ihn einfach auf einen der Tischchen stehen lassen sollen, dann wäre er Shaely nicht über den Weg gelaufen. „Zu viel Alkohol ist nicht gesund, das weißt du als Heilerin doch am besten.“

 

Ihr Lächeln verblasste und sie nickte. „Das stimmt. Gib nächstes Mal Bescheid, dann feiern wir ein wenig zusammen, ja?“

 

„Wenn es sich ergibt.“

 

Es war nicht die Antwort, die sie gern gehört hätte, wie ihr schief geneigter Kopf ihm signalisierte. Noch bevor sie ihn weiter in das Gespräch verwickeln konnte, verabschiedete er sich mit einem höflichen „Bis später, Shae“. Sie liebte es, wenn er sie mit ihrem Spitznamen ansprach und daher war dies ein unkomplizierter Weg, sie seine Unhöflichkeiten vergessen zu lassen.

 

Er ging an ihr vorbei und zupfte sich den Wollschal über die Nase, damit ihn andere mögliche Bekannte, die sich auf dem abendlichen Friedensfest aufhielten, nicht auf den ersten Blick erkannten. Auf diese Weise vermummt schritt er zwischen den Verkaufsständen entlang, begleitet von den Gerüchen von scharfen Gewürzen und süßen Tee und dem Quietschen von Freundinnen, die sich gegenseitig den angebotenen Schmuck zeigten. Doch für Sorin blieb der Verkaufsstand, dem der Becher gehörte, in weiter Ferne.

 

„Du achtest also auf deine Gesundheit? Erzähl keinen Scheiß“, ertönte eine Stimme zu seiner Rechten. Wie zahlreiche andere Besucher hatte sich Luke an einem der Tischchen abgestützt und drehte neben einer halb leeren Pappschachtel Maroni eine dampfende Tasse in seiner Hand, der das heiße Porzellan nichts auszumachen schien. „Deine Angebetete weiß offenbar nicht, was für ein Schlot du bist.“

 

Sorin ließ seine Augenlider genervt flattern. Den Rest seiner Verärgerung konnte er verbergen.

 

„Aber sie weiß, dass du heute Geburtstag hast.“

 

Zu gerne hätte Sorin ihn zurechtgestutzt, dass Luke sein Geburtsdatum der Öffentlichkeit preisgab. Doch ein flüchtiger Blick über das Treiben des Festes signalisierte ihm, dass die Besucher mehr an ihren eigenen Gesprächen oder an der leisen Musik, die der sanfte Wind von den Barden herübertrug, interessiert waren. Nur manchmal fielen ihnen seine blonden Haare auf, dann registrierten sie die von Luke, die wegen ihrer schwarzen Färbung noch sonderbarer waren und auf denen ihre Augen etwas länger verharrten. In einer Umgebung, in der alle ihrer Naturhaarfarbe treu waren, wirkte Luke mit seinen vermeintlich gefärbten Haaren wie ein Exot. Jeder ahnte, dass er nicht von hier stammte und spätestens, wenn er beim Sprechen seine ungewöhnliche Betonung auf manche Wörter zeigte, bestätigte er die Vermutung.

 

„Du hast Geburtstag?“, rief Rykers unverkennbare tiefe Stimme hinter Sorin. Leise Ketten klimperten und gleich darauf legte sich ein kräftiger Arm um Sorins Schultern. „Alles Gute, mein Lieblingsdämonenjäger.“ Ryker drückte ihn kameradschaftlich in seiner groben Art. „Wieso erzählst du nichts? Dann hätte ich dir auch einen Glühwunsch mitgebracht.“

 

Sorin wartete ungeduldig, bis Ryker ihn wieder freigab. Aus dieser zangenhaften Umklammerung hätte Sorin sich nicht von selbst befreien können, so ersparte er sich die ungelenke Figur, die er bei diesem Versuch gemacht hätte.

 

„Ich wüsste nicht, warum das erwähnenswert ist“, erwiderte er kühl. Eigentlich trank man an diesem besonderen Abend nur einen einzigen Becher Glühwunsch. Rykers leichtes Lallen nach hatte er die Tradition nicht eingehalten. Sorin machte sich nicht die Mühe, ihn darauf hinzuweisen. Sicher hätte Ryker damit argumentiert, dass für ihn als Firnier andere Traditionen galten.

 

„Geburtstage sind immer ein Tag zum Feiern“, meinte Ryker und schwenkte feierlich den Becher über Sorin hinweg, der daraufhin einen Schritt zur Seite trat. Den klebrigen Wein brauchte er nicht in seinen säuberlich gescheitelten Haaren.

 

„Weißt du was? Nimm einfach meinen Glühwunsch. Ich hole mir einen neuen.“ Ryker drückte Sorin den Becher in die Hand, zwinkerte ihm zu und mischte sich unter die Besucher.

 

Sorin trat an den Tisch zu Luke. „Warum machst du aus deinem Geburtstag ein Geheimnis?“, wollte dieser wissen.

 

„Ich hasse ihn.“

 

„Weil das der Tag ist, an dem du auf diese beschissene Welt gekommen bist?“

 

„Ich habe ein gesundes Selbstbewusstsein im Gegensatz zu dir und gräme mich nicht in meiner Vergangenheit. Der Grund ist viel banaler: Ich hasse die Aufmerksamkeit“, erklärte Sorin.

 

„Und wie du dich in deiner Vergangenheit grämst“, murmelte Luke. Sorin hätte ihn gern eines Besseren belehrt, aber sicherlich würde er sich damit in eine endlose Diskussion verwickeln. Klüger war es, das Thema auf etwas anderes zu lenken. „Ist das dein erster Glühwunsch?“, fragte Sorin.

 

„Ja. Eigentlich möchte ich ihn gar nicht probieren, weil er sicher genauso scheußlich stark schmeckt wie all das andere Gesöff in diesem Land.“

 

„Damit liegst du nicht weit daneben. Deswegen trinkt man an diesem Abend nur einen.“

 

„Sag das mal Ryker. Der ist gerade dabei, den halben Glühwunschstand leerzusaufen.“

 

„Dadurch hat er trotzdem nur einen Wunsch frei.“

 

„Was für einen Wunsch?“

 

„Dieses Fest wird zu Ehren der Magier abgehalten, immer am 24. Tag des zwölften Monats“, erklärte Sorin. „Wir feiern den Tag, an dem Quellstein und Ebenerz einen Waffenstillstand beschlossen haben. Beim ersten Schluck vom Glühwunsch hält man inne und entsendet den stillen Wunsch zu den Göttern, die Magierverfolgung möge sich nie wiederholen.“

 

„Darum nennt man dieses Gesöff Glühwunsch?“ Luke schnupperte an dem dampfenden Wein und zog die Nase kraus. „Allein der Geruch macht einen betrunken.“

 

„Es riecht schärfer, als es in Wirklichkeit ist. Das liegt an der Prise Chilisalz.“ Es schmeckte nicht besonders, doch Sorin hielt diese Gepflogenheit ein und tat seinen ersten Schluck. Möge Hirudien eines Tages frei von Dämonen sein, schickte er sein stilles persönliches Wunschgebet an den Lichtgott Scutum. Er beobachtete Luke, wie er zögerlich von seinem Glühwunsch trank.

 

„Für mich als jemand aus Starrland gilt diese Tradition nicht. Da habe ich einen anderen Wunsch frei“, meinte Luke und würgte den Wein sichtlich die Kehle hinunter.

 

„Wie lautet denn dein Wunsch?“

 

„Dass du nicht weiter versuchst, mich umzubringen.“

 

Jemand wie du hat keinen Platz in Hirudien, antwortete Sorin ihm in Gedanken. Sieh dich an, wie mühelos du dieser Kälte die Stirn bietest. Ohne Mantel oder Stiefel, Luke genügte seine übliche zerrissenen Alltagskleidung in Schwarz mit den Nieten und Stacheln. An den Schneeflocken, die sich auf ihm niederließen und sofort schmolzen, erkannte Sorin, wie sein Körper von innen heraus gewärmt wurde. Dank seiner Feuermagie, redete sich Luke ein, doch tief im Inneren kannte er wie Sorin den wahren Grund. Ansonsten würde er nicht krampfhaft versuchen, seinen linken Arm unter Stulpen und festgezurrten Gürteln zu verbergen.

 

„Du hast den Teil mit dem stillen Wunsch übergangen. Ich fürchte, er geht nun nicht in Erfüllung.“ Sorin grinste und ließ unter Lukes finsteren Blick seine Hand in der Tasche seines Mantels verschwinden, wo er seinen Revolver aufbewahrte. Kalt und geladen mit Patronen aus unheilvoller Lichtmagie. Luke wusste das und darüber hinaus hatte er eine genaue Vorstellung, was die Munition mit ihm anrichtete.

 

„Als ob ich an so einen Schwachsinn glauben würde“, schnaubte er. Seine Stimme war das Einzige, das seine Lässigkeit beibehielt. Den Kopf leicht gesenkt, die Schultern vornübergebeugt, die Zähne gebleckt wie bei einem Raubtier, behielt er Sorin aufmerksam im Auge. Das zweite verbarg er wie üblich hinter einer Augenklappe.

 

„Ich denke, hätten wir uns unter anderen Umständen kennengelernt, würden wir gute Freunde werden“, lächelte Sorin. „Aber es ist, wie es ist, Dämon.“ Er prostete Luke zu, der ihn mit einer Mischung aus Abscheu und Zorn anfunkelte. Das kommt dem Antlitz eines Dämons schon näher, dachte Sorin amüsiert. Es war so simpel, diesen Dämon zu provozieren.

 

Über die flackernden Magielichter legte sich ein Schatten, ein weiterer dampfender Becher gesellte sich zwischen denen von Sorin und Luke, gefolgt von Ryker. „Da bin ich wieder. Na, was habe ich verpasst?“